Sonntag, 19. März 2017

Von Bildern, Bildung und Einbildung

Wenn in den deutschen Medien das Wort "Pisa" fällt, denken wir seit einigen Jahren oft nicht als erstes an einen Turm in der toskanischen Stadt sondern an die so genannte Pisa-Studie.

Mit drei Kindern ist man täglich mit unserem Bildungssytem konfrontiert. Da ich mein Abitur in diesem Jahrtausend gemacht habe, kann ich mich an Sinn und Unsinn meiner Schulzeit noch recht gut erinnern.

Ich habe mich damals schon gefragt warum wir monatelang Themen wie "Frauen in Namibia" oder "Kinder in Kolumbien" besprechen, das politische System der Bundesrepublik oder die Geschichte des 20. Jahrhunderts (mit Ausnahme der Zeit von 1914 bis 1945) gar nicht besprochen wurde.

Vor einigen Tagen gab es ein Schlüsselereignis, woraufhin ich mir (nicht zum ersten Mal) Gedanken machte was in Deutschland mit unserem Bildungssystem nicht passt. 

Meine große Tochter besucht die Sekundarstufe I einer Realschule. Im Zuge der Umstrukturierung in eine Integrierte Gesamtschule werden die Klassenräume nach und nach mit "digitalen Tafeln" (Interaktive Whiteboards) ausgestattet.

Meine Tochter berichtete mir nun von der Reaktion Ihrer Lehrerin: "Das nutze ich nicht!".
Die Begründung von Ihr war dass Sie nicht wisse wie man damit umgeht. 

In diesem Moment wusste ich nicht wie ich gefasst darauf reagieren soll. Ja, die Frau ist nicht "frisch aus dem Studium" sondern hat schon viele Schüler in ihrem Leben begleitet. Es ist daher meiner Meinung völlig legitim bei neuer Technologie Hilfe zu benötigen. 

Ihre Reaktion zielte jedoch nicht darauf ab. Sie vermittelte Ablehnung vor neue Technologie (die für Sie nicht überraschend kam da diese Klassenraum mit als letztes ausgerüstet wurde).
Die Lehrkraft ist für einen Schüler mehr als nur ein Vermittler des Wissens, sie ist ein Vorbild. Ein Schüler muss durch das Verhalten des Lehrers genau so lernen können wie vom Wissen. Wobei das erstgenannte wohl der weitaus schwierigere Part ist. 


Nun führt mich diese Situation (über die wir uns lange unterhalten haben) zu einem Punkt welcher im deutschen Bildungssystem definitiv ein Problem darstellt: Es gibt eine Altersstruktur in der Lehrer ab 50 Jahren teilweise den größten Teil des Kollegiums ausmachen. So sind in sechs Bundesländern mehr als jeder Zweite 50 Jahre oder älter.
Diese Erfahrung ist in diesem Beruf genau so wichtig wie in allen anderen; jedoch ist eine Ausgewogenheit ebenfalls notwendig.
Vor allem wenn unsere Kinder auf eine digitale Zeit vorbereitet werden müssen, ist es ein sträfliches Versäumen der Gesellschaft den Nachwuchs mit den Mitteln des 20. Jahrhunderts zu unterrichten. 


Doch, was sind die Methoden in der Schule? Was, und vor allem wie, wird unseren Kindern "Bildung" vermittelt?
An dieser Stelle bin ich gedanklich einen Schritt zurück getreten und habe mit die Definition des Begriffs Bildung nochmals angesehen.
Je nach Nachschlagewerk ist diese Definition natürlich leicht unterschiedlich, doch im Kern trifft die Beschreibung in der Wikipedia zu:

Bildung bezeichnet die Formung des Menschen im Hinblick auf sein „Menschsein“, seiner geistigen Fähigkeiten.
Der Begriff bezieht sich sowohl auf den Prozess („sich bilden“) als auch auf den Zustand („gebildet sein“). [...] Ein Zeichen der Bildung, das nahezu allen Bildungstheorien gemein ist, lässt sich umschreiben als das reflektierte Verhältnis zu sich, zu anderen und zur Welt.

So weit die Theorie. Wenn ich diese Theorie lese, stelle ich mir die Frage wo ich hierdrin unsere Schulen wiederfinde. 
Ein typische Herangehensweise in der Schule ist es, den Schülern Wissen zu präsentieren oder im engen Rahmen erarbeiten zu lassen (allerdings kein neue Wissen sondern bereits bestehendes Wissen im Rahmen einer Lösungssuche).
Diesess Wissen wird abgefragt (Im Rahmen von Tests und Klausuren).
Sind dies "geistige Fähigkeiten"? Bedingt. Hier geht es darum das ein Mensch denken, abwägen, entscheiden zu können. Für diese und andere Vorgänge ist Wissen natürlich unabdingbar.

Das deutsche Bildungssystem stellt bei der Kinderbildung jedoch ein eminent starkes Gewicht auf die Vermittlung von Wissen. Dies ist für eine ganzheitliche Bildung jedoch keineswegs ausreichend. Man sollte daher eher von einem Wissenssystem sprechen.
Diese durch das häufige Auswendiglernen fehlende Transferwissen wurde übrigens auch im Rahmen der PISA-Studien kritisiert.

Der nächste Punkt der mir Unbehagen bereitet: Kinder werden oft nicht gefördert sondern (aus)sortiert. Wer in einigen Bundesländern eine "Schullaufbahnempfehlung" erhält, hat noch die freie Schulauswahl; es gibt aber noch weiterhin das bayrische System wo die Aussage der Lehrer nach der vierten Klasse grundsätzlich bindend ist. 
Hier sollte man sich vor Augen führen, dass die Kinder zu diesem Zeitpunkt ca. 10 Jahre alt sind und ihr weiterer schulischer Werdegang, welcher maßgeblich auch die berufliche Zukunft beeinflusst, beurteilt wird.
Die Folge? Schon auf Grundschülern liegt ein enormer Leistungsdruck, Nachhilfe wird gegeben, Eltern büffeln Englischvokabeln mit Ihrem Nachwuchs.
Die soziale Entwicklung muss hier zurückstehen. Es fehlt einfach die Zeit. 

Zeit ist auch ein Faktor der Lehrer. Immer mehr Inhalte müssen in kürzerer Zeit vermittelt werden (Beispiel: Abitur nach 12 Jahren), die Klassen werden immer größer (teilweise mit über 30 Schülern).
Wie soll ein Lehrer hier eine individuelle Förderung des Einzelnen gewährleisten? Wie soll bei dem Lehrermangel entfallener Unterricht aufgearbeitet werden?
Aus diesen (und noch vielen weiteren) Gründen sind viele Lehrkräfte frustriert. Das Ergebnis war der Einstieg zu diesem Text. 
Diese Liste mit Mängeln lässt sich noch lange fortführen. Sauberkeit durch fehlende Reinigungskräfte. Bauliche Mängel. Ausstattung der Klassenräume. Abgeschaffte Lehrmittelfreiheit und die Chancengleichheit. Die Frage die sich aber schon an diesem Punkt stellt ist: Warum ändert man nichts?

Die Antwort ist sicherlich vielschichtig, wir haben ein föderales Bildungssystem (was gegebenenfalls auch in Frage zu stellen ist), man kann keine neuen Lehrer von heute auf morgen auf dem Arbeitsmarkt haben etc.

Der Kern der Sache ist aber doch: Kinder gehören zu den Personen in Deutschland die sich nicht selber vertreten und auch wehren können. Sie können keine (Wahl)Stimme abgeben, keinen Streik organisieren, die Presse nicht nutzen. Damit haben Sie keinerlei Lobby, kein Gehör. 

Helmut Kohl sagte 1998: "Die Menschlichkeit einer Gesellschaft zeigt sich nicht zuletzt daran, wie sie mit den schwächsten Mitgliedern umgeht."
Anhand von Kindern, Alten, Kranken, Pflegebedürftigen oder Behinderten können wir, jeder für sich und in einer gesellschaftlichen Diskussion, beurteilen wie menschlich die deutsche Gesellschaft ist und welche Ansprüche wir hier haben wollen. 

Mit der Bildung der zukünftigen Generationen haben wir es auch in der Hand, wie gut unsere Wirtschaft, Gesellschaft und Demokratie funktionieren wird. 
 

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